Kristin Pfaff-Bonn
Sisy, Schwester des Sisyphos
Lebt und arbeitet in Mainz
2020-2024 Studium Malerei Europäische Kunstakademie Trier 1977-1982 Studium Architektur Fachhochschule Mainz
Ich bin da und male
Das ist der allem zugrunde liegende Anlass meiner Arbeiten. Mich in der Welt verorten. Deshalb sind alle meine Arbeiten Selbstbildnisse des ´Hier auf der Welt Sein´.
Mitgliedschaften
GEDOK Wiesbaden-Mainz e.V. Kunstverein Eisenturm Mainz e.V. Künstlerinnenkollektiv Fliegende Aufhocker Gruppe Atelier C1 DCH Atelier Römerberg e.V
Kristin Pfaff-Bonn: Das Selbst durch Form und Geste abbilden
Text von Sabina Oroshi, Kunsthistorikerin, M.A.
Kristin Pfaff-Bonns Werk ist eine tiefgründige Erkundung von Identität, Existenz und der Spannung zwischen Kontrolle und Spontanität. Als gelernte Architektin bringt sie eine strukturelle Sensibilität in ihren künstlerischen Prozess ein, doch ihre Kunst ist zutiefst emotional und intuitiv.
Ihre Gemälde, Zeichnungen und Skulpturen dienen der Erforschung des Selbst – wie es wahrgenommen wird, wie es mit der Außenwelt interagiert und wie es sich im Laufe der Zeit entwickelt. Durch die Vermischung von Abstraktion und Figuration schafft sie einen Dialog zwischen Form, Materialität und dem Akt des Sehens.
Pfaff-Bonns kreativer Prozess und ihre Gesten widersetzen sich starren Vorurteilen. Wie sie selbst sagt: „Das Tun ohne Plan ist wichtig, das ist mein Antrieb.“ Diese Methodik ermöglicht es ihr, den Körper als Untersuchungsgegenstand zu betrachten. Ihr Prozess ist von Fluidität, Revision und Entdeckung geprägt. Ihre Arbeit entsteht oft aus der Interaktion zwischen Beobachtung und Aktion, Zerstörung und Rekonstruktion. Dies zeigt sich in ihren ausdrucksstarken Pinselstrichen und der Körperlichkeit ihrer skulpturalen Arbeiten.
In ihrer Serie Zeitzeichen wird die Zeit zum zentralen Motiv, das durch die Wiederholung von Markierungen und Strichlisten-ähnlichen Symbolen erforscht wird. Die Arbeit visualisiert das Vergehen, die Anhäufung und das Löschen von Zeit und spiegelt sowohl persönliche als auch kollektive Erfahrungen von Dauer wider. Durch den systematischen Einsatz von Strichlisten und gestischen Linien in Schichten schafft Pfaff-Bonn eine rhythmische Sprache, die an die konzeptuellen Ansätze von Künstlern wie Roman Opalka und On Kawara erinnert, die Zeit als existenziellen und performativen Akt dokumentierten.
Die Serie verwendet auch die Hand, um sich mit der Art und Weise auseinanderzusetzen, wie Zeit innerhalb der menschlichen Erfahrung aufgezeichnet, wahrgenommen und strukturiert wird. Sie seziert eine einfache, aber symbolisch reiche Form – die menschliche Hand – durch verschiedene fragmentierte, gestische Wiederholungen. Diese Skizzen betonen Bewegung und Ausdruck und reduzieren die Hand auf ein rohes Werkzeug zur Markierung. Das wiederholte Motiv deutet sowohl auf eine Suche nach Bedeutung als auch auf eine Erforschung der menschlichen Berührung als grundlegenden Akt der Kommunikation und Schöpfung hin.
Themen wie Identität, Selbstwahrnehmung und der Blick
Pfaff-Bonns Aussage „Ich bin da und male“ bildet das Leitprinzip ihrer künstlerischen Praxis, in deren Zentrum die Erforschung des Selbstseins steht. Ihre Arbeiten lassen sich als fortlaufende Serie von Selbstporträts verstehen – nicht im traditionellen Sinne, sondern als Reflexionen ihrer Präsenz in der Welt. Die Art, wie sie ihr eigenes Bild in Bezug auf den Blick des Gegenübers verhandelt, erinnert an Jacques Lacans Konzept des Spiegelstadiums: Die Vorstellung vom Selbst ist nie losgelöst von der Wahrnehmung durch andere. In diesem Sinne wird Pfaff-Bonns künstlerischer Prozess zu einem dynamischen Akt der Selbstverortung, in dem Identität nicht als feststehend, sondern als ständige Aushandlung begriffen wird.
In Pfaff-Bonns Werk manifestiert sich dieses Konzept im Spannungsfeld zwischen Figuration und Abstraktion, Sichtbarkeit und Unklarheit. Ihre geschichteten Kompositionen zeigen oft fragmentierte oder verzerrte Gesichter und Körper, wodurch die Betrachtenden in eine doppelte Rolle versetzt werden – zugleich Beobachter und Teil des Wahrnehmungsprozesses. Die Idee des „Sich-Sich-Sehen-Sehens“ durchzieht ihre Arbeiten und unterstreicht, dass Identität nicht statisch ist, sondern im Akt der Wahrnehmung entsteht und verhandelt wird.
Dies wird besonders deutlich in ihrem Werk “Venus Pudica”, in dem sie den weiblichen Körper durch eine fragmentierte Linse erforscht. Die Serie wechselt zwischen Enthüllung und Verdeckung und stellt Vorstellungen von Bescheidenheit, Verletzlichkeit und Autonomie in Frage. Die Gegenüberstellung von nackten Figuren mit bedeckten oder verdeckten Elementen zwingt den Betrachter, sich mit der Spannung zwischen Sichtbarkeit und Kontrolle auseinanderzusetzen, und spiegelt damit umfassendere gesellschaftliche Dialoge über die weibliche Form und Selbstbestimmung wider.
In ähnlicher Weise zeigt ihr Gemälde “Christa 2” ein Gesicht – halb skizziert, halb gemalt. Die kräftigen roten Striche unterbrechen die Form und deuten auf eine vielschichtige, sich verändernde Identität hin. Dieses Werk hinterfragt, wie viele ihrer Porträts, die Fragmentierung der Selbstwahrnehmung und die Instabilität der Identität und erinnert an entstellte, emotionale Porträts.
Die weibliche Erfahrung und politische Untertöne
Pfaff-Bonns Werk ist tief in der weiblichen Erfahrung verwurzelt, sowohl in der persönlichen als auch in der kollektiven. Sie fragt: „Muss ich Stellung beziehen oder ist der Akt des Malens schon eine politische Haltung?“ Ihre Antwort scheint zu sein, dass Kunst selbst ein Akt des Trotzes gegen die gesellschaftlichen Erwartungen an Nützlichkeit und Produktivität ist.
Diese Missachtung wird in Werken wie “Hausfrau 02” deutlich, in denen sie traditionelle Darstellungen von Weiblichkeit untergräbt. Die in starken Linien und groben Texturen dargestellte Figur stellt stereotype Vorstellungen von Häuslichkeit in Frage und suggeriert Müdigkeit, Ausdauer und Belastbarkeit. Das Werk hebt die Spannung zwischen auferlegten Rollen und persönlicher Handlungsfähigkeit hervor.
Ein weiteres Beispiel sind ihre skulpturalen Werke, die weibliche Figuren in übertriebenen, manchmal verzerrten Proportionen darstellen. Die grobe, fast ursprüngliche Schnitztechnik verstärkt die Rohheit der menschlichen Existenz. Werke wie “Überlebende oder die nach dem Helden” verkörpern die Spannung zwischen Stärke und Zerbrechlichkeit, Erinnerung und Präsenz und zeigen den existenziellen Ansatz der Figuration.
Architektonischer Einfluss: Raum und Komposition
Als Künstlerin mit einem Hintergrund in der Architektur ist Pfaff-Bonns Herangehensweise an den Raum einzigartig. Selbst in ihren gestischen Werken ist ein Gefühl von Struktur zu spüren. Dies wird besonders deutlich in ihrem Werk “Hausfrau 03” -Architekturprojekt, bei dem sie ihre Zeichnungen in die Oberfläche eines modernistischen Gebäudes integriert. Indem sie die organischen, ausdrucksstarken Eigenschaften ihrer Figuren mit starren, geometrischen Formen verbindet, schafft sie einen Dialog zwischen Emotion und Raum, Weichheit und Festigkeit.
Ihr architektonisches Feingefühl erstreckt sich auch auf ihre Kompositionen, bei denen Größe eine entscheidende Rolle spielt. Ihre Figuren wirken oft monumental, ob sie nun sitzen, liegen oder aus Holz geschnitzt sind. Die Beziehung zwischen dem Körper und dem ihn umgebenden Raum wird zu einem wesentlichen Bestandteil der Bedeutung in ihrem Werk.
Durch ihren intuitiven Prozess verwandelt sie den Akt des Schaffens in eine Untersuchung von Selbstsein und Verbindung. Ihr Werk fordert uns auf, über konventionelle Darstellungen hinauszugehen, die Fluidität der Identität zu umarmen und Kunst als einen aktiven Seinszustand zu begreifen. Indem sie Struktur und Spontaneität, Verletzlichkeit und Behauptung verbindet, hinterlässt Kristin Pfaff-Bonn einen bleibenden Eindruck und erinnert uns daran, dass jeder Schaffenszeit im Kern eine Behauptung der eigenen Existenz ist.